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Willy Brandt ans Fenster!

Von awo

Das Hotel "Erfurter Hof" direkt am Hauptbahnhof war früher einmal "das erste Haus" in der Stadt. Heute ist es kein Hotel mehr, man sieht die Insignien der Sparkasse, und oben auf den Dach erinnert seit 2009 der Schriftzug "Willy Brandt ans Fenster" an das, was am 19. März 1970 hier geschah.

Erfurt war der Ort des ersten Gipfeltreffens, das es zwischen einem westdeutschen Bundeskanzler und einem Staatschef der DDR gegeben hat. Trotz Polizei- und Stasi-Absperrungen war eine große Menschenmenge erschienen und stürmte den Bahnhofsplatz. Die Menschen riefen „Willy! Willy!“, damit konnten Willi Stoph oder Willy Brandt oder beide gemeint sein.

In der Süddeutschen Zeitung am 20. März 1970 wurden die weiteren Ereignise wie folgt beschrieben: "An einem Fenster der zweiten Hoteletage, wo Brandt und die Seinen sich letztmals für den gleich fälligen Konferenzbeginn sammeln, läßt Staatssekretär Ahlers sich winkend sehen. Jetzt wächst der Tumult drunten auf dem Platz schierer Raserei zu. "Willy Brandt ans Fenster, Willy Brandt ans Fenster!" fordern die Demonstranten, während die Volkspolizei unschlüssig abseits steht und die beiden Unteroffiziere der Nationalen Volksarmee, die als erstarrte Ehrenposten das Hotelportal flankieren, ihre Maschinenpistolen fester an sich pressen.

Da endlich erscheint Willy Brandt am geöffneten Fenster. Tosender Jubel brandet zu ihm hinauf. es fällt dem Bundeskanzler offensichtlich schwer, seine eigene Erregung unter Kontrolle zu halten. Zaghaft lächelnd nickt er grüßend mit dem Kopf, um Sekunden später mit einer fast beschwörenden Gebärde seiner ausgebreiteten, nach unten gesenkten Hände den Jubel zu dämpfen. Alle, die eben noch in Raserei zu sein schienen, verstehen ihn auf der Stelle, wie auf Befehl herrscht Schweigen ..."

An diesem Tag begann faktisch die deutsch-deutsche Entspannungspolitik, auch wenn bei dem eintägigen Treffen selbst kaum etwas erreicht wurde. Wichtig war die Symbolkraft, die davon ausging. Der 19. März 1970 war zwischen dem Volksaufstand von 1953 und dem Fall der Mauer von 1989 das einzige Datum in der DDR-Geschichte, wo sich eine Menschenmenge der Kontrolle durch den Staat entzog und ihren Emotionen freien Lauf ließ. Insofern war dieser Tag von Erfurt ein Wetterleuchten für das, was dann im Herbst 1989 passierte. Und auch Willy Brandt selbst kam knapp 20 Jahre später und kurz vor dem Mauerfall zu einer bemerkenswerten Einschätzung: "Der Tag von Erfurt. Gab es einen Tag in meinem Leben, der emotionsgeladener gewesen wäre?"

Am 27. Januar 2009 genehmigte die Bau-Stadtverwaltung - nach längerer, kontroverser Debatte - die Errichtung eines Denkmals in Form einer Leuchtschrift Willy Brandt ans Fenster des Berliner Künstlers David Mannstein auf dem Dach des Erfurter Hofes. Über diesen "Denkmalstreit" erfährt man Näheres unter folgender Adresse:

erfurt-web.de/Willy_Brandt_Denkmal_Erfur t

Geschrieben 20.09.2014, Geändert 21.09.2014, 555 x gelesen.

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