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Das Gegenteil von gut

Geschrieben am 25.03.2009 20:38:34

Von
Emiliano
Emiliano

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Was ich spontan mit dem Mittelalterstädtchen assoziiere, sind weder Kirchen, technische Denkmäler oder Museen, vielmehr ist es ein "naturnahes Baudenkmal" der jüngeren Geschichte. Das allererste, denk ich an Pritzwalk in der Nacht, ist die Scheußlichkeit einer Umgehung genannten Hochtrasse, die den Ort nun umgibt.
Stadtmauerreste, Marktplatz und Ritterlegende hin oder her, den Charakter des Städtchens prägt heute auf das Nachhaltigste ein offensichtlich unter Ausschluss von Landschaftsplanern "gestalteter" rundum laufender massiger Wall mit der Anmut einer militärischen Anlage oder eines Hochwasserschutzdeiches. Aus dem Ort gesehen scheinen die vorbeifahrenden Autos am Himmel zu fliegen, beziehungsweise sie wie kleine Sputniks zu umkreisen. Verlässt man die eingekesselte Stadt auf einer der strahlenförmig herausführenden ehemaligen langen Alleegeraden in eine beliebige Richtung, stößt man nach kurzer Fahrt auf ein kurvenreich mäanderndes Netz aus kleinen Auf- und Abfahrten, irrwitzigen Geschwindigkeitsbegrenzungen, gut sichtbaren Drainageschläuchen und eng gestellten Hinweistafeln – gefühlte 15 Meter über dem ansonsten flachen Land. Alles andere als großzügig ist man bei der Bemessung der Radien dieses Kurvenwirrwarrs gewesen; die vielen kleinen wie Sprungschanzen wirkenden unübersichtlichen Auffahrten gehen abrupt und unvermutet in enge Kurven über. Man fragt sich unwillkürlich, wie viele Kraftfahrer hier schon versehentlich geradeaus gesprungen sein mögen oder welcher Großunfall mit Bus- und Personenschäden sich ereignen muss, um die Verantwortlichen dieses Hoch- und Tiefbaudesasters in den Ruhestand schicken zu können. Aber abgesehen von den vermutlich nicht eben geringen Kosten für die Aufschüttung dieser gewaltigen Bitumendüne inmitten des grünen Flachlandes und der zweifelhaften Zweckmäßigkeit des frisch gepflanzten Schilderwaldes ist dieses Machwerk vor allem auch eine ästhetische Vollkatastrophe, die den einstigen Charakter der Stadt unwiederbringlich zerstört hat. Orientierungslos auf den neuen Asphaltserpentinen schlingernd, blickt man wehmütig auf die verkümmerten Alleerudimente, die jedweder Funktion beraubt nun platt auf den Feldern umherliegen.
Nun ist es keine Seltenheit, dass Umgehungsstraßen unter Ausschluss von Schönheit gebaut werden. Aber hier stehen groteske Betonbrücken in der grünen Gegend! Hier wurde geklotzt und via selbstgewählter Verschlimmbesserung wieder einmal der Beweis erbracht: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Mit dem Nachdenken über die Alternative Kreisverkehr hat man sich in Pritzwalk nicht lange aufgehalten, den Vergleich mit Lösungen in anderen Orten offensichtlich gar nicht erst gesucht. Da steht sie nun, die Umgehungsgrausamkeit, ein markantes Zeugnis allgegenwärtiger Kleingeistigkeit, sie zirkelt sich um die Stadt wie eine Schlinge. In einer Region mit negativem Bevölkerungswachstum – quasi frei von Zugezogenen – erscheint es als gewagter Schritt der verantwortlichen Schildbürger, den Strick selbst anzulegen und zu zuziehen.

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Thema Autor Datum
Das Gegenteil von gut Emiliano 25.03.2009 20:38

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