Reiseziel auswählen




Reiseziel-Sponsoren Reiseziel-Sponsor werden

Griechenland eröffnete an seiner Westküste einen Unterseetunnel

Von Klaus W.

Seit Freitag, dem 28.Juni 2002, hat Griechenland erstmals eine durchgehende Küstenstraße entlang seiner kontinentalen Westseite. Ein 1,6 Kilometer langer Tunnel unterquert den Amphrakischen Golf und beschleunigt die Fahrt von Igoumenitsa nach Patras. Drei Jahre verzögerte sich die Fertigstellung. Obwohl die Bauarbeiten schon vor einem halben Jahr beendet waren und zum orthodoxen Osterfest Einheimische den Tunnel bereits kostenlos benutzen durften, standen die Ampeln auf Rot.

Eröffnungstermine wurden im Jahres-, dann im Monats- und zuletzt im Wochenrhythmus angesagt und verschoben. Denn dem Tunnel fehlte und fehlt noch bis voraussichtlich Herbst 2002 auf seiner Nordseite der freie Straßenanschluss auf die ionische Küstenmagistrale E55. Der Nah- und Fernverkehr muss über asphaltierte Feldwege und Vorortstrassen rechts und links umgeleitet werden. Für Fernreisende verkürzt sich die Route dennoch um 17 Kilometer. Wichtiger noch, Reisende sparen die Wartezeiten im Fährhafen von Preveza oder Aktio und auf dem Schiff oder in den Staus bei der bisher alternativen Umfahrungsmöglichkeit über Arta. Auch darum bezuschusste die EU das Tunnelvorhaben, wenn offenbar auch ohne ausreichenden Einfluss auf den Baufortschritt.

Einen Monat vor der feierlichen Eröffnung begannen die Bauern vor der Nordeinfahrt hektisch mit der Kartoffelernte. Bulldozer schoben sogleich den Mutterboden beiseite. Für Premierminister Simitis, seine Ministerriege und Journalisten musste eine ausreichend große Fläche geteert werden. Denn trotz des Schildbürgerstreiches sollten Fotografen nur tadellose Bilder einfangen. Von Sakis, ein ehemaliger Münchner und heute Wirt einer Traditionsgaststätte in Preveza, war die Realität zu erfahren. Die ganze Anschlussstraße fertigzustellen soll noch sechs bis zwölf Monate dauern, erzählte er. Das war im Juni 2002.

Zum Eröffnungszeitpunkt fertiggestellt war nur die Süd-Zufahrt, also die Aktio-Seite. Aktio ist der vorgeschobene Posten der Region Akarnanien im Westen Griechenlands. Hier scheinen die Hauptnutznießer des Tunnels zu siedeln. Die Kleinstädter und Dörfler, die Tabak- und Obstbauern, sie alle saßen bisher förmlich in den Startlöchern. "Wasser ist eine Grenze", erklärten sie. Der Golf zieht sich 54 Kilometer ins Landesinnere bis Amfilochia. Um die Akarnanen an einer vorzeitigen Durchfahrt zu hindern, musste bis zum Eröffnungstermin ein Baufahrzeug auf ihrer Seite quer gestellt werden.

Nur wenige hundert Meter vom Tunnel entfernt, liegt der zweite Nutznießer, ein Militär- und im Sommer auch ziviler Flughafen. Er wird regelmäßig von Chartergesellschaften angeflogen. Die Flieger versorgten bisher im Wesentlichen Pensionen und Clubs im nahen Paleros und auf der mit einer Brücke angebundenen Insel Lefkas. Auf der Nordseite des Golf liegen jedoch das touristische Parga, die weite ionische Küste mit ihren noch unverbauten Sand- und Felsstränden sowie zwei Dutzend potentielle Ferienorte. Sie werden nun bequem für die Reiseanbieter erreichbar.

Der Unterseetunnel verkürzt nicht nur die Warte- und die Fährzeit. Diese dauerte in Summe bis zu 40 Minuten. Prevezas Straßen sind eng und nur Kenner finden sich im Labyrinth der Einbahnstraßen zurecht. Noch schlimmer ist es, sich bei den Vororten Pantokratoras und Alonaki auf die Küstenstraße einfädeln zu wollen. Auf der Suche ist schon Mancher in einer der Siedlungen - sie gleichen Schrebergartenkolonien - steckengeblieben. Darum unterquert der Tunnel gleich die Stadt Preveza mit ihren 25.000 Einwohnern. In Zielrichtung geradeaus liegt das Ende der Europastraße E55. Doch eben die Unterquerung ist in den Augen der Prevezaner der "Kasus knaxsus". Oft gehört: Werden Akarnanen und Touristen nicht die Stadt Preveza "oben" liegen lassen und ihren Euro außerhalb der Stadt abliefern?

Preveza hat sich in den vergangenen zehn Jahren gewandelt. Aus der Altstadt sind Friseure, Schuhmacher, Blechschmiede, Buchbinder, Sattler, Trödler und die kleinen Lebensmittelgeschäfte gewichen. Die einstigen Inhaber sind in Rente gegangen, oder hatten bis ins hohe Alter, quasi bis zum Umfallen, gearbeitet. Nachrücker sind Fischtavernen, Grillstuben, Ouzerien, Bistros, Bars, Diskotheken und Boutiquen. Die geduckten, ein- und zweistöckigen Häuschen mit ihren Bouganvilla und Wein umrankten Vordächern wirken charmant und einladend. Eine frische Seebrise weht durch die stets offenen Fenstertüren. Es werden zahlende Gäste erwartet. Werden sie kommen? Bisher waren wenigstens die Fähreinnahmen eine sichere Einnahmequelle für die Stadtverwaltung.

Der pfiffig dreinschauende Kapitän eines der 34 Jahre alten Fährboote erzählt, der Tunnel habe laut Planung schon vor drei Jahren fertig sein sollen. Drum glaube er auch nicht an die rechtzeitige Fertigstellung der Brücke über den Golf zwischen Irion und Antirion (bei Patras) zur Olympiade. Er könne übrigens mit seinen Kollegen und den Preveza-Booten dort die nächsten Jahre Fährdienst tun. Das sei jetzt geklärt. "Griechenland ist ein verrücktes Land", so sein Kommentar. Was den Brückentermin bei Patras anbelangt, scheint er aber zu irren. Der liegt nachweislich voll im Plan. Ein junger griechischer Archäologe auf dem Grabungsfeld Nikopolis wusste gleich den Grund zu nennen: Es seien Deutsche, die dort die Bauleitung haben. Nikopolis liegt sieben Kilometer nördlich von Preveza. Die Stadt wurde von Kaiser Augustus anlässlich seines Sieges über die vereinigte Flotte Cleopatras und Antonius in der Seeschlacht von Aktium 32 v.Chr. gegründet. 300 000 Menschen siedelten in der Antike hier. Die alte Nationalstraße nach Preveza führt brachial durch die antiken römischen und byzantinischen Stadtbefestigungsanlagen. Der vorgesehene Tunnelanschluss zusammen mit der E55 soll den Verkehr auf der Küstenstraße westlich vorbei leiten.

Im Lokal "O Kaixis" in Preveza saß zu später Stunde am Stammtisch die regierende Stadtratsfraktion und der zweite Bürgermeister. Wird er der peinlichen Frage, wie es zu einem Tunnel ohne Straßenanschluss kommt, ausweichen? Er machte einen Exkurs in die Geschichte. Venedig habe den Prevezanern vor 300 Jahren 118.000 Olivenbäume geschenkt, damit diese die Früchte an sie exportierten. Die Olivenbäume gelten immer noch als schutzwürdig, auch wenn das levantinische Reich längst untergegangen ist. Von den knorrigen Baumriesen müssen wegen der Tunneleinfahrt achtzig gefällt werden. Eine Entschädigung sei an die sechs bis sieben betroffenen Bauern längst gezahlt worden, und nicht nur für 80, sondern für 300 Bäume. Dennoch sei vor Gericht weiter um eine Lösung verhandelt worden. Erst am 28.5.2002 sei eine gerichtliche Fällgenehmigung ergangen, dann durften die Bulldozer anrücken.

Wer je in früheren Jahren einen Spaziergang von den Vororten Kalamitsi oder Pantokratoras nach Preveza gemacht hat, weiß wohl um die bukolisch wirkenden Baumbestände, aber genauso um die überwiegenden Freiflächen! Mit Fällungen war man also nie zimperlich gewesen. Woher nur die jüngsten Skrupel?

Die Dame vom Fremdenverkehrsbüro mag sich nicht äußern, ob die Tunneleröffnung nachteilig für den Tourismus der Stadt sein könne. Sie kehrt stolz die 1500 Hobbysegler heraus, die jedes Jahr an den Kais der Stadt festmachen. Für Zahlen zum vergangenen Fährverkehraufkommen verweist sie auf Kapetanios Canaras im Hafenamt. Wäre interessant zu erfahren, ob wenigstens aus den Tunneleinnahmen, respektive Fähreinnahmen, ein Sümmchen für die Stadt übrigbliebe. Seine Statistik zählt für 2001 immerhin 621.439 Fahrzeuge, davon zwei Drittel PKW. Gleichzeitig querten 1.405.800 Passagiere den Golf.

Wirtschaftliche Bilanzzahlen sind nicht zu bekommen. Erwartungen an den Tunnel werden nur mit einem Achselzucken beantwortet. Auch an Canaras die Frage, was jetzt mit den Schiffen geschehe: "Kein Problem, nach Gesetz müssen Fährschiffe nach 35 Jahren sowieso außer Dienst gestellt werden. Die sind jetzt fällig!" Die betriebswirtschaftliche Seite des Fährgeschäfts konnte also ausgereizt werden, fast bis zum "Geht nicht mehr". Für die Studenten der Hochschule für Finanz- und Verwaltungsaufgaben in Preveza gibt das ein praktisches Lehrbeispiel griechischer Administrationskunst.

Der Tunnelbau kostete rund 100 Millionen Euro. Touristen zahlten zuletzt für die Fähre in eine Richtung für zwei Personen und PKW zusammen 6,22 Euro. Sicher gab es für Vielnutzer Abonnementpreise. Die Tunnelmaut ist etwa halb so hoch und die Stadt muß die verringerten Einnahmen zudem mit dem Staat teilen.

Von Nikolaus J. Welter

Geschrieben 18.07.2002, Geändert 18.07.2002, 8456 x gelesen.

Was möchtest du?

Kommentare zu diesem Artikel

Kommentar von Klaus W. vom 30.07.2015 21:37:38

Ergänzung.

Preise für die Tunnelunterquerung in eine Richtung, Stand Oktober 2014.

Motorrad 0,70 EUR
PKW 3,00 EUR
Zweiachsiger Bus bzw. LKW, PKW mit Anhänger, Kleintransporter
5,00 EUR
Dreiachsiger Bus bzw. LKW
8,00 EUR
LKW mit Auflieger bzw. mehrteiliger LKW
14,00 EUR