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Große Schwedenrunde 2022 per Rad: Göteborg - Stockholm - Norwegen - schwedische Westküste - Göteborg

Von h42

Jahrelang mit Rad und Zelt durch Schweden fahren, aber noch nie auch nur in die Nähe von Stockholm gekommen? Sicher nicht der ideale Ort für Naturliebhaber, aber irgendwie doch ein "Muss". Eine neue Fährlinie hatte von Rostock nach Nynäshamn (Hafen ein paar Dutzend km südlich von Stockholm) eröffnet. Also "die" Gelegenheit! - Allerdings zerschlug sie sich beim näheren Hinsehen schnell wieder: die Anreise Hamburg - Rostock hätte mit dem Rad entweder zwei Tage gedauert, oder mein Mitfahrer und ich hätten die Räder in den Zug packen müssen. Wäre für kein schöner Auftakt zu einer Fahrradreise gewesen. Und dann war die Fähre ohnhehin ausgebucht. Das Thema hat sich mittlerweile (2023) auch wieder komplett erledigt, denn nach nur einem Jahr hat der Betreiber die Linie wieder eingestellt, ihr Betrieb lohnte sich nicht. Trotzdem blieb der Besuch von Stockholm auf dem Zettel (soll heißen, auf der Routenplanung). Und ein längerer Abschnitt durch Norwegen. Mit Regengarantie!

Tag 1: Anfahrt Hamnburg - Kiel
Inclusive der Anfahrt nach Kiel (und zurück) waren 2000 km geplant: Göteborg - Stockholm - Rättvik - Mora - Idre (ein Dorf im Nordwestzipfel Dalarnas) - Norwegen südwärts - Svinesund - schwedische Westküste - Göteborg.
Zum ich- weiß- nicht- wievielten- Male schraube ich vor Start am Rad rum, u.a. finde (und behebe) ich einen schwer erklärbaren Fehler in der Nabe. Neue Kette aufziehen, neue Bremsklötze einsetzen, Kleinkram. Wird alles noch erschwert, weil Ersatzteile für mein über 20 Jahre altes Rad immer schwieriger zu beschaffen werden. Und in Schweden ist schon die Versorgung mit normalen Fahrradteilen außerhalb der Großstädte ein Problem. Also vorsorgen und auf eine pannenfreie Reise hoffen. Die letzte Reparatur beende ich in der Nacht vor der Abfahrt... und bin zum Start entsprechend unausgeschlafen. Kurz vor 7 geht's bei tollem Wetter los.
Irgendwo auf halber Strecke bei Hartenholm gibt's eine kalte Dusche von oben, dann aber wieder Sonne. Letzter Einkauf in einem Vorort von Kiel. Problemloser Check- In auf die Fähre, nach 2020 und 2021 endlich ohne Corona- Probleme (davon abgesehen, dass ich es mir selbst einige Wochen zuvor zum zweiten Mal (leicht) eingefangen und zum Glück rechtzeitig wieder auskuriert hatte). Pünktliches Ablegen und Ausfahrt aus der Kieler Förde in der Sonne. 107 km.

Tag 2: Göteborg - Anten
Morgendlicher Gang aufs Deck: es ist windig, bewölkt und ziemlich kühl. Ich stelle mich drinen für einen Kaffee an. Warteschlange. Nur Kartenzahlung auf dem Schiff. Und teuer. Aber das Bistro hat bequeme Sessel mit Panoramafenstern... so bequem wird's die nächsten drei Wochen nicht mehr!
Später dann die Fahrt durch die Schären draußen angucken. Unter der Älvsborgsbron durch. Wenn alles gut geht, werden wir zum Abschluss der Reise in 2 1/2 Wochen oben von der Brücke hierher heruntergucken. - Zurück in die Kabine, Zeug zusammenräumen, Taschen aufs Autodeck runterschleppen (20+ Kilo und die Armmuskulator muss erst noch aufgebaut werden!), Tacho auf Null stellen, aufsatteln. 9:30 verlassen wir die Fähre und fahren bei grauem Wetter durch den Hafen, einige km am Stadtrand an der Wasserkante entlang, und durchs Lärjedalen aus der Stadt raus. Schon vor Jahren erprobte Route, die schnell ins Grüne führt, auf einem von vielen schwedischen Bahnradwegen.
Erste Station: Gråbo, Supermarkt. Auf dem Dorfplatz gibt's eine öffentliche Steckdose! Weiter auf dem Bahnradweg. Am Mjörn(-see) nach Sjövik. Schön flach hier, gut zum Einrollen! Hinter Sjövik wird der Weg immer schlechter und ist kaum noch zu erkennen. An einer Steinbarriere müssen wir sogar anhalten, die Taschen abnehmen und die Räder rüberhieven. Für ein paar km wechseln wir auf die Hauptstraße, biegen wieder ab und stehen vor einem Eisenbahnmuseum. Ein paar Eisenbahnliebhaber haben am Westufer des Anten(-sees) einige km der alten Schmalspur- Bahnstrecke funktionsfähig gehalten und im Museum steht diverses rollendes Material, das hin und wieder auf Museumsfahrten geschickt wird.
Weiter am Ostufer des Anten. Und dann die ersten Steigungen. Keine 15 km dahinter finden wir ein ruhiges Waldstück. Rehe laufen auch rum. 85 km.

Tag 3: Anten - nördlich Skövde
Das bisher grau- maue Wetter soll in Kürze sonnig und in einigen Tagen dann hochsommerlich werden. Davon merken wir erstmal nichts. Die riesige Baustelle der E20, über die wir die Räder durchschieben müssen, und den Supermarkt in Vedum sehen wir bei grauen Wolken. Aber es wird schon spürbar wärmer. Ein panisches Reh rennt vor uns quer nach links über die Straße, fast in ein entgegenkommendes Auto rein - fast dieselbe Situation hatte ich 2021 nicht allzu weit von hier schon mal gehabt.
In Skara kommt endlich, passend zur Mittagspause, die Sonne raus und wärmt - verschwindet aber gleich wieder, als wir weiterfahren. Immer noch auf demselben Bahnradweg, auf dem wir gestern aus Göteborg rausgekommen waren, fahren wir am Südrand durch die Stadt. Hinter Skara ist die Sonne dann ganz weg, ein dunkles Wolkengebiet holt uns ein und es fängt an zu prasseln wie sonstwas. Wir sitzen den Regen in einem Bushaltestellenwartehäuschen an einer Schnellstraße aus. Fast eine Stunde lang gucken wir dem Durchgangsverkehr zu, der auf dem Asphalt Wasserfontänen hochdrischt und ich repariere währenddessen über Smartphone ein Problem in meinem Reiseblog.
Dann wird's aber besser... und besser. Erst noch grauer Himmel und matschige Straßen, dann aber Auflockerung und auf einer geschwungenen Nebenstraße durch die Tallandschaft Vallebyggden. Die ist nicht nur schön, sondern es wird sogar wieder sonnig. Auf der Tour vor zwei Jahren war derselbe Streckenabschnitt auch schön und sonnig gewesen, aber es war dabei vielleicht zehn Grad kälter gewesen (und das im Juli). Wir fahren aus dem Tal raus nach oben in den Wald und finden dort eine große Wiese am Waldsaum. Schöner Platz!

Tag 4: nördlich Skövde - westlich Askersund
Sonne in halb Schweden, sagt das Wetterradar. Solarpanel raus, Akkus laden! - Kommt Sonne, steigt der Wasserverbrauch. In Binneberg (ja, mit "B"!) kommt aus dem Wasserhahn an der Kirche etwas überraschend eine kalkig- trübe Brühe. Oops. Lieber woanders nochmal versuchen. Zum Beispiel beim ICA in Tidan. Wasser in 1,5l Plastik- Pfandflaschen hilft (ist allerdings 3-4x so teuer wie in Deutschland).
Richtung Götakanal. Dort ein paar langsam- träge Kilometer den Uferweg entlang, der wie für Freizeitradler gemacht worden zu sein scheint: flach, gepflegter Belag und alle paar km ein Café. Aber unsere Richtung geht nach Ost- Nordost, vom Kanal weg, zur Nordspitze des Vättern und dann nach Stockholm.
Mittag vor der Kirche in Halna. Es ist warm und wird fast heiß. Ich fange an, mich auf Bergabfahrten wegen des kühlenden Fahrtwindes zu freuen.
Etwas über 10 km vor Askersund landen wir in einem ruhigen Wald. Blaubeeren, Preiselbeeren, klopfender Specht, Abendsonne durch die Baumkronen. Sehr schön hier.

Tag 5: westlich Askersund - westlich Vingåker
Bis 24 Grad sind angesagt! Bei der Wärme fällt es leichter, aus dem Schlafsack zu kommen und es geht etwas früher los. Kurzer Stopp im Binnenhafen von Askersund, vorbei am Marktplatz und Einkauf (viel Wasser!) beim selben ICA wie 2021. Die Wege kreuzen sich... Nach Nordosten parallel zur Reichsstraße 50, bei Skyllberg nach Osten abbiegen, die grobe Fahrtrichtung zeigt jetzt ziemlich genau Richtung Stockholm. Mittagspause bei knallender Sonne. Meine "punschrullar" sind erstaunlicherweise noch nicht geschmolzen. Das Solarpanel haut jetzt Strom nahe seiner Maximalleistung, die man realistischerweise in nördlichen Breiten erwarten kann, raus. Und wieder Preiselbeeren! So viele wie noch nie auf einer Schwedentour, der späte Reisestart Anfang August macht's. - Und weiter. Nur noch 130 km Luftlinie bis Stockholm. Erst Kirche ansteuern, Wasserpumpe! Spontan ein Eis am Stiel vom coop. Tagespensum erreicht, leider wird entlang der Bahnlinie vor Vingåker der Wald dünn, wir müssen ein bisschen suchen, bis wir ein geeignetes Gehölz finden. Und als dann Punkt 21:00 der Landwirtschaftslärm aufhörte, kann ich auch einschlafen. 87 km.

Tag 6: von Vingåker ostwärts
Weiter ostwärts. Längere Schotterstrecken, quer über die Reichsstraße 56, und erneut längere Schotterstrecken. Ich hole die Sonnenschmiere raus. Für die Pause nach dem Einkauf in Hälleforsnäs suchen wir einen schattigen Platz. - Wieder Schotterpisten... und dazwischen ein paar unangenehme Kilometer auf der Reichsstraße 55. Das ist hier eine von diesen speziellen schwedischen dreispurigen Straßen mit abwechselnd 2/1 und 1/2 Spuren, ohne Seitenstreifen und mit Drahtseilen links, rechts und in der Mitte. Sind optimiert auf geringen Landschaftsverbrauch. Aber wenn man als Radfahrer (völlig legal) auf einem einspurigen Abschnitt fährt, können überholende LKW unangenehm werden.
Schöner lichter Zeltwald südlich vom Dunkern(-see). Absehbar wird die nächste Übernachtung nicht mehr so naturnah werden, da wir dann schon in der engeren Umgebung von Stockholm sein werden (nur noch 60 km Luftlinie!)

Tag 7: bis kurz vor Stockholm
Heute also bis vor Stockholm, so der Plan. Erstmal aber wieder 20 km Schotterpiste durch fast menschenleere Wälder. Vorbei ist die Ruhe, als wir erst an Sköttvångs Grufva, einem Touristen/Event- Areal um eine historisches Grubengebiet herum und dann an einem Badeplatz (am Mellan- Marviken) vorbeikommen. Für schwedische Verhältnisse "überfüllt". Gelegenheit zum Abkühlen und den Schweiß abzuwaschen! Und dann wieder kilometerlang Schotter. Kurz vor Nykvarn hört der auf, auf Asphalt endlich wieder einen Gang hochschalten - huch! geht nicht!? Mist! Hinterer Schaltzug gerissen. Neuen einfädeln, 40 Minuten.
Nykvarn, 7000 Einwohner. Der Ort macht irgendwie schon den Eindruck einer ersten (kleinen) Trabantenstadt von Stockholm (und liegt auch bereits in Stockholms Län). Direkt neben dem ICA: Wohntürme und eine große Baustelle. Die Haupt- Bahnstrecke und die Autobahn E20 (Ziel Stockholm) verlaufen gleich nebenan.
An der Straße nach Södertälje kurze Mittagspause.
Södertälje: 70.000 Einwohner, Hochhäuser und mit sozialen Brennpunkten ("utsatt områden", offiziell von der schwedischen Polizei so genannt, der ganze Stockholmer Großraum ist voll davon, Göteborg und Malmö etwas weniger). Dort fahren wir zwischen Wohngebieten ins Stadtzentrum und über die Mälarbron auf die Insel Södertörn, sozusagen das Vorzimmer von Stockholm. Die Insel ist voll mit Vorstädten, zwecks Umgehung fahren an Södertörns Nordrand einen Umweg durch ein naturnahes Gebiet. Einen Zeltplatz finden wir hier aber nicht, es ist ein ausgewiesenes Naturreservat. Um 18:00 an Sturehovs Schloss vorbei und kurz dahinter dann doch noch einige km durch Vororte. Zwischenziel: die Straßenfähre zur Insel Ekerö. Schöne Überfahrt, willkommene Pause! - Auf Ekerö gibt's zwar der Karte nach einigen Wald, aber der meiste liegt auf einem Hügel mit schrägen Hängen. Wir finden gegenüber hinter einer Sandgrube zwischen Birken nahe einer versumpften Fläche eine ziemlich mäßige Fläche. Zu einem "richtigen" Campingplatz wären es noch 20 km gewesen - zu spät für heute und wir haben schon 90 km. Also hier die Zelte aufbauen.

Tag 8: durch Stockholms Randgebiete und wieder raus
Das war mit die unangenehmste Nacht, die ich je beim Zelten erlebt habe. Erst fuhr ein Jugendlicher(?) auf der Straße mit seinem Motorrad hoch und runter. Und runter und hoch. Und wieder. Und wieder. Kaum sicht-, aber hörbar. Dann irgendwann in der Dunkelheit: Grunzen. Etwa 50 Meter von den Zelten lungerte eine Rotte Wildschweine herum. Soweit ich in der Dunkelheit erkennen konnte, mit Frischlingen. Mit den Viechern ist nicht zu spaßen. Aber sie verzogen sich. Und dann, so gegen 1 Uhr nachts: wumm- wumm- wumm. Es muss wohl in ein paar 100m Entfernung einen Techno- Club oder sowas geben. Bis 6 Uhr früh waren die Bässe zu hören.
Ich bin reif für den Kaffee und einen frühen Aufbruch. Weg hier!
Die Sonne macht's leicht, in die Gänge zu kommen. Und erstmal ist die Radroute über Ekerö sehr schön. Die Straße zur Nachbarinsel Lovö dann zunehmend weniger. Dass Lovö ein Naturreservat ist, fällt nicht weiter auf, denn die Straße ist kilometerlang eine Baustelle, wobei wir die eigentliche Hauptbaustelle nur kurz zu Gesicht bekommen, weil sie unterirdisch verläuft und mal die neue Umgehungsautobahn Stockholm (17 km Tunnel, Baubeginn 2014, geplantes Bauende 2030) werden soll.
Angenehmer Zwischenstopp: Schloss Drottningholm. Fotos. Und dann endlich über zwei Brücken ins Stockholmer Stadtgebiet rein. Wir haben auf Innenstadt noch weniger Lust als vorher und fahren wie geplant am westlichen Stadtrand entlang, um abends wieder in der Natur sein zu können. Die gibt's hier jetzt erstmal nicht mehr: der Bergslagsvägen ist eine dichtbefahrene vierspurige Ausfallstraße, flankiert von Hochhaussiedlungen und Gewerbe. Immerhin: die Radwege- Infrastruktur ist wie üblich gut. Vorbei an Vällingby und Hässelby, Stadtteile mit nicht eben dem besten Ruf. In einem kleinen Parkgebiet, eingeklemmt zwischen zwei Industriegebieten, springt uns ein Reh fast vors Rad. Das hat sich ein ziemlich lautes Revier gesucht... Ab Järfalla dann wieder etwas mehr Grünzüge. Der Mälaren liegt nicht weit westlich von uns. 10:30 kommen wir an sein Ufer, machen am Badeplatz "Bonäsbadet" Halt und ich hole mir einen Kaffee.
Weiter am Mälaren. Kurzer Abschnitt durchs Grüne, dann die nächste Vorstadt: Kungsängen. "Oben" gibt es Wohntürme neben dem Supermarkt und der Bahnstation (Linie "J", "Stockholms Pendeltåg", eine Vorortbahn/S-Bahn). "Unten" liegt ein beschaulicher Sportboothafen. Dort Mittagspause mit Blick auf den in der Sonne glitzernden Mälaren.
Es folgen parallel zur Autobahn E18 und der Bahnstrecke noch ein paar weitere nicht ganz so schöne Ortschaften - aber als wir hinter Bålsta (Endstation des Pendeltågets) nach Norden abbiegen, kommt die Landschaft wieder zurück und der städtische Großraum von Stockholm endet. Die Temperatur steigt bis auf 30 Grad. Viel Landwirtschaft hier, teilweise vertrocknete Felder. Asphalt, aber wenig befahren und wenige Steigungen, es rollt ganz gut. - Die Ebene wird hügeliger, die Schatten länger... auf einem kleinen Hügel mit gutem Rundumblick lassen wir uns im Schatten der Bäume nieder. 90 km.

Tag 9: nach Dalarna, 30 Grad
Noch ein Hochsommertag kündigt sich an. Morgen allerdings soll es erste Gewitter geben. - Ich brauche dringend Nachschub an Kaffeepulver! Und hier gibt es nicht mehr alle 15 km einen Supermarkt. Tatsächlich ist es sogar ziemlich leer hier. Felder, Wälder, staubtrocken. Nach Nordwesten. Unterbrochen wird die fast magische Landschaft von der Hauptstraße 254 nach Heby, wo wir erst den Supermarkt und dann ein Eiscafé ansteuern. Und dann wieder Wälder. Reife Preiselbeeren. Ein weiterer "Flashback" bei Enåker (Radreise Sommer 2020 - bei damals widerlich nasskaltem Wetter). Wir schwitzen. Sehr schön: hinter Enåker gibt's eine Badestelle! Irgendwann schalte ich mein Smartphone ab, bevor es einen Hitzeschaden nimmt. Läns- Grenze zu Dalarna. Und zu Dalarna gehört der Dalälven. Der fließt einmal quer durch Schweden und wir werden ihm jetzt mehrere Tage lang mehr oder weniger flussaufwärts folgen, wenn auch nicht jeder Flussbiegung. Für heute erstmal wieder hoch in die Hügel und zum Tagesende beenden wir überdurchschnittlich anstrengende 97 km mit drei Bergaufkilometern. Zeltplatz ein paar km südlich von Garpenberg mitten im Wald. Erst 19:00, aber ich habe schon Mühe, wachzubleiben.

Tag 10: am Dalälven - Ende der Hitzewelle
Guter Start mit dem gestern frisch gekauften Kaffee, Sorte "Skåne mörkrost" (dunkel geröstet wie Espresso). Dafür wird der Wasservorrat knapp. Nachmittags sollen erste Gewitter kommen und die Temperatur in den nächsten Tagen auf 20 Grad runtergehen. Und da wir nach Nordwesten Richtung Norwegen fahren, wohl eher noch weiter runter.
Nachdem wir uns gestern abend drei km bergauf gequält hatten, und wir zum Dalälven wieder hinunter wollen, wird es wohl in Kürze steil bergab gehen. Ich weiß auch noch, wo, weil wir 2020 eben dort aus der entgegengesetzten Richtung bergauf gekommen waren. Und tatsächlich wird es die geilste Bergabfahrt der ganzen Reise. Bei 51 km/h bremse ich vorsichtig ab. Vielleicht 1-2 km geht es rasant runter ins Tal. Ein Linienbus hinter mir macht keine Anstalten zu überholen. Dann Ausrollen, über die Dalälven- Brücke und die nächsten 10-15 km in Flussnähe. In Stora Skedvi Einkauf. Noch vor dem Laden ist zu sehen, wie es in Fahrtrichtung dunstig bis wolkig wird. Laut Radar regnet es in Falun schon. Eine erste Regenwolke, die unseren Weg quert, verpassen wir knapp. Bei Torsång nochmal über den Fluss... und in ein Café direkt am Ufer. Kurz kommt ein Schauer runter, aber noch bevor wir den Kuchen nach drinnen schleppen können, kommt die Sonne wieder zurück.
Vom Fluss weg nordwärts, wieder in die Wälder. Und dann, 16:30: Gewittergrollen. Nicht schlecht, für 16:00 war es angesagt gewesen! Es zieht vorbei. Glück! Und dann gleich wieder Pech: wir verfahren uns. Nur unwesentlich, aber die zehn Minuten, die wir deswegen später auf einer sehr schönen Wiese ankommen und um die sich der Zeltaufbau verschiebt, machen den Unterschied: präzise beim Auspacken der Zelte aus den Packtaschen kommt heftiger Pladderregen runter. Mist, alles nass! Innenzelt und Außenplane von innen. Ich selbst auch. Die Sonne kommt zwar wieder durch, kriegt unsere Sachen aber heute nicht mehr trocken.

Tag 11: Nordufer Siljan
Nachts blieb es trocken, aber die Sonne kommt kaum durch den Dunst. Es reicht immerhin, um die Sachen zum Aufbruch halbwegs trocken zu bekommen. Für die Mittagszeit sind weitere Gewitter angekündigt.
Eine kurvige Piste führt mit reichlich Kurven und Steigungen durch dichten Wald zum Årbosjön. An dessen Ufer wird es unerwarteterweise wieder für etliche km flach: eine weitere ehemalige Bahnstrecke (in den 1960er Jahren stillgelegt) die uns zwar schotterig, aber ohne viele Kurven Richtung Siljan(-see) führt. Bei (noch) intensivem Sonnenschein haben wir vor der Bergabfahrt zum Siljan runter einen prima Ausblick auf den Ostteil des riesigen Sees. An seinem Ufer liegt Rättvik, ein relativ großer Ort mit Touristeninformation, Bahnhof und gleich mehreren Supermärkten. Und mit einem riesigen Strand und einer richtigen Seebrücke. Beste Mittagspausengelegenheit! Aber während ich mir die Füße im See abkühle, wälzt sich eine dunkle Wolkenwand über die Hügel am Südostufer rüber. Wir sehen zu, dass wir loskommen. Drei oder vier km schaffen wir noch, dann müssen wir uns schleunigst unterstellen, weil es aus Eimern anfängt zu kübeln. Und diesmal heitert es sich nicht so schnell wieder auf. Bei grauem Himmel radeln wir die Radroute "Siljansleden" am Nordufer des Sees ab. Die gefällt mir trotz des Wetters deutlich besser als am Südufer (Tour 2021) - mehr Wald, wenig Bebauung. Erst nach Stunden, gegen 16:30, erste Spuren von Sonne. In Nusnäs ein Hinweisschild "Dalahäst- tillverkning". Hier werden also die rote Dalapferde aus Holz zusammengebaut! Leider sind meine Taschen viel zu voll für ein Souvenir. - Noch 10 km bis Mora, Ziel des Vasa- Skilanglaufes. Wie üblich müssen wir uns möglichst früh vor der Stadt eine Zeltgelegenheit suchen. Es ist schwierig. Im letzten Waldstück vor der Stadt gibt's eine versteckte Ecke mit vielen Mücken und nassem Boden.

Tag 12: von Mora in die Berge
Mehrere laut prasselnde Schauer nachts. Meine Powerbanks sind leer. Zum dritten Mal nach 2018 und 2021 fahren wir in die Stadt und ich kann's auch beim dritten Mal nicht lassen, unter dem Vasalauf- Zieltor (Inschrift: "I fäders spår - för framtids sägrar") für ein Selfie zu posieren. Beim Durchfahren der Stadt zum Supermarkt sehe ich noch mehrere Kopien der Inschrifttafel. Der Vasalauf ist halt ein (Marketing-)Symbol für die halbe Stadt und das, was der Boston- Marathon für Boston ist oder Wacken für Wacken...
Nach einer Sonneneinlage beim Einkaufen geht's nach Nordwesten aus der Stadt raus, Richtung Norwegen und Wildnis. Den Dalälven entlang auf der Hauptstraße flussaufwärts. In Oxberg steht ein traditioneller Laden für Holzschuhe (interessant) und mit Kaffeeausschank (noch interessanter). Es nieselt. Immer weiter den Fluss hoch. Väsa, Älvdalen, Månsta, permanent bergauf, aber nur ein bisschen. Und dann auf die Nebenstraße weg vom Fluss, jetzt wirklich steil bergauf und in die halbe Wildnis rein. Tolle Aussicht aufs Tal. Schwitzen (gerade mal wieder Sonne). "Oben" zwanzig Minuten Pause. Die Wolken formen abwechselnd Bilder zwischen "gleich fängt's an zu pladdern" und "gleißender Sonnenschein auf Bergwaldpanorama". Nur vereinzelt stehen hier oben Häuser. Faszinierend hier oben.
Leider gewinnen die Wolken gegen die Sonne und - diesmal zum Glück erst nach dem Zeltaufbau - fängt es an zu pladdern. Wir sitzen etwas auf dem Präsentierteller im Rentiermoos, der Wald ist sehr licht - aber hier kommt niemand vorbei.

Tag 13: durch die Wildnis bis vor Idre
Kalt wird's auch. 11 Grad am Morgen. Für heute ist keine Sonne mehr angesagt. Und los. Mitten im Wald eine einsame Farm mit neugierigen Ziegen ("Gessibodarna"). Es wird mir auch beim Fahren nicht richtig warm. Könnte daran liegen, dass es noch kälter geworden ist, jetzt nur noch 8 Grad! Lange Schotterpiste, zwischendrin bei Lövnäs, einer der wenigen Siedlungen, Asphalt. Hier wird lokal das archaische Älvdalisch gesprochen, sagt die schwedische Wikipedia, ein schwedischer Dialekt, der sich mehr vom "normalen" Schwedisch unterscheidet als norwegisch und darum mittlerweile oft als eigene Sprache angesehen wird (und mit nur noch 2-3000 Sprechern vom Aussterben bedroht ist).
Km 33: in Nornäs eine Aufwärmgelegenheit, das Nornäs Road Café. Wie ich gerade jetzt (April 2023) traurig lese, wurde es im März geschlossen. Zwei Espresso und ein Schwatz mit dem Schweizer Inhaberpaar, das war eine willkommene Pause an einem grauen Tag, an die ich mich noch lange erinnern werde.
Hinter Nornäs folgen noch 18 km Schotter. Und dann gegen 13 Uhr die ashaltierte Hauptstraße, die uns nordwärts nach Särna und wieder an den Dalälven (zurück)bringt. Selbe Straße, aber umgekehrte Richtung wie 2019 (damals auf der Rückfahrt aus Lappland). In Särna erkenne ich einiges wieder: die Abfahrt in den Ort rein, im Museumsdorf das Besucherklo (was für ein Luxus, mit Wasserspülung!) und den coop. Nicht bekannt war mir der Gemischtwarenladen an der Hauptstraße, der auch eine Kaffeemaschine hat. Also sitzen wir schon wieder mit Kaffeetasse in der Hand im Trockenen. Das erleichert das erneute Durchstarten ungemein. Über eine Hängebrücke (nur für Fußgänger und Radfahrer) wechseln wir zur Nordseite des Dalälvens. Sicher viel schöner als die Hauptstraße auf der Südseite... dafür aber teilweise sehr schotterig und steil. Keine ausgewiesene Fahrradroute! Vielleicht 15 km vor Idre wechselt auch die Hauptstraße zu uns ans Nordufer und erleichtert treten wir zum Tagesausklang noch etwas Asphalt. Direkt am Fluss gibt's ein paar verstreute Stellplätze, auf dem einen oder anderen steht ein Wohnmobil. Wir suchen uns zwischen zwei Plätzen eine Ecke. Der Dalälven rauscht.

Tag 14: Gördalen - norwegische Grenze - Ljørdalen
Idre (650 Einwohner) ist nach Stockholm unser zweiter "Wendepunkt" - die nördlichste Ecke der Tour. Auch hier waren wir, wie vorher durch Särna, auf besagter Radreise 2019 nach Lappland durchgefahren, aber auf dem Hinweg dorthin. In der Umgebung hatten wir damals die ersten Rentiere gesehen (Idre ist das Südende der schwedischen Rentiergebiete). Diesmal leider keine. - Einkauf im ICA- Supermarkt "Idre bua" und dann nach Südwesten raus aus dem Ort, wieder weg vom Fluss, und das heißt natürlich wieder: "bergauf!" Ein paar andere Radfahrer quälen sich mit uns hier hoch. Dann auf die Schotter- Nebenstrecke. Hoch und runter! Als es, wie angesagt, tatsächlich wärmer wird und nach fast zwei Tagen die Sonne wieder durchkommt, machen wir Mittagspause direkt am Straßenrand. Es sind nur noch 20 km zur norwegischen Grenze. Kaum Handy- Empfang hier!
Südwestwärts, immer noch auf unserer 2019er Route entgegengesetzt. Immer weiter bergauf. Der "Gipfel" ist der Erik- Knutsåsen (860m). Und nach einer Pause dort rollen wir den Rest des Tages nur noch bergab. Herrlich (und sauer erarbeitet)! Das Gördalen ist ein wunderschönes Wildflusstal, deswegen wollte ich es nach 2019 auch nochmal durchfahren. Hinter der norwegischen Grenze (der Grenzsteinhaufen ("riksröse") ist nach unserer letzten Vorbeifahrt frisch gelb lackiert worden und eine Warntafel aus Coronazeiten, die nach Norwegen Einreisende auf die "Regler for innreise" hinweist, installiert und wieder funktionslos geworden. Ab hier heißt dasselbe Tal Ljørdalen und ist weiterhin schön. Zur Linken ragt imposant das Fulufjellet auf. Ist eine faszinierende (und straßenlose) Wildnis da oben, die uns als Reiseradlern aber verschlossen bleibt.
Nicht weit vom Ljøra- Ufer finden wir ein Gebüsch für die Zelte. Ein bisschen eng, aber es geht. Und die Abendsonne scheint. 82 km.

Tag 15: Norwegen bringt Regen, Schweden Sonne
Die Sonne ist erstmal weg, der erste Morgen in Norwegen fängt grau an. Noch vor Ladenöffnung stehen wir beim coop in Ljørdalen vor der Tür. Wie erwartet, sind die Preise dort (außer für Wasser, Kaffee und Thunfisch) gruselig hoch. Das zweite Gruselerlebnis ist die Straße Nr. 2162. Schotterig, bergig und bei jetzt richtig schlimmem Wetter. Ich bin gleichzeitig durchgeschwitzt, durchgefroren und durchnässt. Es ist nach der Wärmeeinlage gestern Nachmittag wieder kalt geworden. (Wobei sich das in Norwegen von einem Tal zum nächsten ändern kann.) Wir haben 15-20 ziemlich unerfreuliche km. Abfahrt nach Østby runter. Der Fahrtwind reißt mir die Kapuze vom Kopf und der Regen klatscht direkt ins Gesicht. Østby sieht ziemlich verlassen aus, einen Kaffee gibt's hier wohl nicht. Also weiter auf der nächsten Schotterpiste. Wieder bergauf und bergab auf der 1262. Nächste Siedlung: Plassen. Dort gibt's im Tante- Emma- Laden endlich den gewünschten Kaffee, sogar mit warmem Sitzplatz drinnen.
Südwärts auf der Hauptstraße 26, parallel zum Trysilelva und flussabwärts. Und, hurra!, die Sonne kommt wieder! Beim Lutufallet kraftverk (Wasserkraftwerk) wechseln wir das Flussufer und suchen eine kleine Straße, die südwärts führen soll. Wir finden aber nicht einmal einen Trampelpfad - nur einen großen Acker ohne jede Spur eines Durchgangs. Einer der wenigen richtigen Kartenfehler auf OpenStreetmap, die ich auf Reisen festgestellt habe. Also zurück zur Hauptstraße und mit einem Umweg am Westufer des Höljessjöns (der schon wieder in Schweden liegt) entlang. Ein Umweg zwar, aber dafür auf asphaltierter Hauptstraße. Nach einer Pause mit Super- Aussicht auf den riesigen See im Sonnenschein rollt es kilometerlang richtig gut und schnell. Wahrscheinlich sind wir so schneller als auf der eigentlich geplanten Route. Das Tempo nimmt ein abruptes Ende, als wir kurz vor Höljes auf eine Nebenstraße einbiegen, die aus so üblem Grobschotter besteht, dass wir abschnittsweise schieben müssen (und bergauf geht's auch wieder). Ein Schild zeichnet sie als Radroute aus, vielleicht für MTBs? Eine halbe Stunde brauchen wir für schlappe 2,5 km, bis es uns reicht und wir in einem Schotterbett direkt an der Straße die Zelte aufstellen. 84 km.

Tag 16: Und wieder Norwegen - Radroute 9 südwärts
Die Temperatur ging in der Nacht wohl auf 5 Grad runter. Das liegt gerade noch in dem Bereich, für den mein Schlafsack vorgesehen ist. Die Sonne wärmt erst nach einer Stunde. Wir brechen auf und fragen uns, wie lange der Schotterbelag wohl anhält. Hoffentlich nicht die ganzen 21 km bis Bograngen (dort ist ein Supermarkt). Eine Stunde nach Aufbruch haben wir keine sieben km geschafft. Langsam wird die Straße besser, dafür kommen wieder Wolken auf. Bis auf einen einsamen großen Lastwagen, der sich irgendwie auf der schmalen Piste durchquält, ist es menschenleer hier, bis wir gegen Mittag Bograngen erreichen. Eine Gruppe norwegischer Motorradfahrer (die Grenze ist nur 7 km entfernt) macht dort Pause und verschwindet in einer Wolke aus Lärm und Benzin. Wir folgen nach unserem Einkauf etwas später. Und kaum sind wir wieder in Norwegen, geht es wieder steil bergauf und wieder fängt es an zu regnen. Und wieder dauert es nicht lange, bis nach etlichen Schlenkern im Wald imd wieder auf die Hauptstraße (gleichzeitig nationale Radroute Nr. 9) wieder die Sonne durchkommt. Der Route 9 folgen wir jetzt abschnittsweise bis zu ihrem Ziel, dem Svinesund, der aber noch ein paar Tagesetappen entfernt ist.
Durch den Ort Grue Finnskog / Svullrya, mit Freiluftmuseum zum Thema "Waldfinnen": überall in der Gegend (und in angrenzenden schwedischen Gebieten) gibt es Hinweise auf die historische Besiedlung durch Einwanderer aus Finnland im 16. und 17. Jahrhundert.
Einmal mehr ist es schwierig, einen Zeltplatz zu finden. Das ist Norwegen: wenn irgendwo keine Häuser stehen, dann oft deswegen, weil es so hügelig oder bergig ist, dass man nicht nur keine Häuser, sondern nicht mal ein Zelt dort aufstellen kann. So ist unser Platz im Gebüsch wieder mal eng. Und einen Regenschauer gibt's auch.

Tag 17: Sonnige Täler in Norwegen
Nachts jetzt sogar nur noch drei Grad! Schlafsack war wieder bis zum Anschlag zu. Angeblich soll es sich die nächsten Tage bis 24 Grad aufheizen, aber der Vorhersage glaube ich in Norwegen nicht mehr. - Es dauert, bis ich aus der Nachtstarre wieder beweglich werde. Die Sonne scheint zwar, aber unser Zeltplatz liegt im Schatten. Und die Straße erstmal auch. Vielleicht nach einer Stunde Fahrt bin ich wieder richtig aufgewärmt. - Es geht auf der 205 (frisch asphaltiert!) Richtung Kongsvinger. In Roverud, einem kleinen Vorort, Stopp beim "Kiwi", einem norwegischen Discounter. Dose Bier ab umgerechnet 2,70€! Aber da ich noch genügend norwegisches Bargeld habe, "prasse" ich.
Hauptstraße 2 südwärts. Parallel dazu die Bahnlinie und die Glomma, Norwegens längster Fluss, dem wir flussabwärts folgen. Am anderen Ufer auf einem Hügel die Festung Kongsvinger. Die lassen wir aber ebenso rechts liegen wie die Stadt selbst. Der Verkehr auf der 2 wird südlich der Stadt ziemlich dicht, norwegen- typisch ist der Seitenstreifen schmal bis nicht vorhanden und es fährt sich etwas angespannter als auf vergleichbaren schwedischen Straßen. Auf der Nebenstraße Nr. 2000 ist die Verkehrsdichte dann schlagartig wieder nahe null. Es geht bergauf, einmal mehr, und wie schon in den letzten Tagen fahren wir aus einem Tal raus, über einen Bergkamm und dann ins nächste Tal wieder runter. Oben Pause, mit noch mehr Preiselbeeren am Wegesrand. Und Krabbensalat vom Kiwi. Der besteht zu 31% aus deutschen weißen Rüben, schmeckt auch so und erinnert mich an eine Dose Thunfisch nahe Oslo 2019: die war auch überraschenderweise fast bezahlbar, schmeckte aber nach Katzenfutter...
Und viel Sonne, hat die Wettervorhersage doch recht behalten.
Wohl 15 km fahren wir durch den sonnigen Wald bergab. Wunderschön hier. Dann Hauptstraße 21 bis Vestmarka. Da waren wir 2018 schon mal durchgefahren und hatten wegen der damaligen Hitzewelle Probleme gehabt, genug Wasser aufzutreiben und uns dann noch im Grenzgestrüpp nach Schweden halb verirrt.
Hinter Vestmarka folgen Baustellen. Sieben km lang. Anscheinend bekommt die ganze Hauptstraße 21 eine neue Asphaltierung. Wir kommen nur langsam voran, müssen mehrmals an Baustellenampeln warten und auf dem abgefrästen Asphalt vorsichtig fahren. Noch einige km, und wieder mit den üblichen Problemen, einen ruhigen Seitenweg abseits der Hauptstraße mit einer flachen unbewohnten Waldfläche zu finden, haben wir doch noch Erfolg. Wir landen im Wald, nur 2-3 km Luftlinie von der schwedischen Grenze entfernt. Vorher haben wir aber noch 130 km auf norwegischen Straßen vor uns. Und noch 370 km und fünf Tage bis Göteborg. Alles im Plan.

Tag 18: nach Mysen
Vier Grad! Die Sonne kommt langsam durch den Morgennebel. Preiselbeeren zum Kaffee... Zum Aufbruch um 9:00 hat sich der Nebel gelichtet, aber es sind noch immer nur 8 Grad. Die Straße 21 bringt uns nach Setskog. Auf dem Parkplatz des Supermarkts steht ein Trabi mit norwegischem Kennzeichen! Soweit ich es in einem englisch- schwedisch- norwegischen Wirrwarr aus dem Eigentümer rausbekomme, allerdings mit einem VW- Polo- Motor. - Im Laden gibt es Blaubeeren für umgerechnet 20 Euro das Kilo. Dann doch lieber selbst pflücken... und für die norwegischen Spezialitäten wie "brunost" (Braunkäse) oder das eher "spezielle" Fleisch fehlt mir der Mut. - 20 km eine traumhafte einsame Waldstraße (Nr. 1452) nach Hemnes. Wellig, aber keine brutalen Steigungen. Dort machen wir auf einer schön bequemen Bank auf einer sonnigen Wiese vor der Kirche Mittagspause.
Felder, Wiesen, weniger Wald. Quer über die Autobahn E18 (u.a. Oslo - Stockholm) nach Mysen rein, eine weitere "richtige" Stadt. Kurzer Einkauf beim Spar- Markt. Ja, die Marke gibt's hier noch, mit dem früher auch in Deutschland bekannten Logo. - Die Stadt sieht ziemlich industriell- gewerblich aus. Und die Straße 124 nach Süden ist eng, kurven- und verkehrsreich und voller LKWs, die uns nur schwer überholen können. Es ist stressig. In einer besonders engen Kurve fahren wir rechts ran und warten, bis ein längerer Schwall Verkehr vorbei ist. Anscheinend waren wir mitten in Mysener Feierabendverkehr geraten... Auch die Zeltplatzsuche erfordert Konzentration - überall Felder und Zäune, aber auf einer kiefernbestandenen Anhöhe finden wir ein erstaunlich gutes Plätzchen. Wieder mit vielen Preiselbeeren, ich bin aber zu faul aufzustehen und welche zu sammeln. 83 km. Und noch 52 bis zur Svinesundbrücke.

Tag 19: Sarpsborg - Svinesund - Strömstad (Schweden)
Die Nacht war wärmer als die beiden zuvor. Angenehm. Aber dafür gab es aus der Ferne Landwirtschaftslärm. - Zum Glück ist der morgendliche Berufsverkehr auf der 124 durch, als wir starten. Einkauf in einem Vorort von Sarpsborg. Die Stadt ist erkennbar eine Nummer größer als Kongsvinger und Mysen (58000 Einwohner vs. 12000 bzw. 7000). Viel Industrie im Zentrum. Südlich davon der bestausgeschilderte Radweg, den ich seit langem gefahren bin. Im Zickzack durch ein ruhiges Wohnviertel, aber jede Kurve hat eine Markierung und anfangs steht zudem noch alle 500m die Entfernung zum Svinesund auf den Wegweisern. - In Høysand (650 Einwohner) ein erster Blick aufs Meer, genauer, auf einen langgezogenen Fjord. Danach lässt die Ausstattung der Radroute ein wenig nach und es folgen Steigungen, Schotter und die stark befahrene 118 Richtung Halden, ebenfalls eine Industriestadt, an der wir aber vorbeifahren, und direkt auf die letzte Steigung in Norwegen zu, die Auffahrt zur alten Svinesundbrücke. Der Svinesund ist die Grenze nach Schweden. An einem Picknicktisch mit prima Ausblick auf die Brücke (und die in der Ferne gelegene Neue Svinesundbrücke) machen wir eine ziemlich lange Pause und ich gucke mir die Brücke genauer an (hatte ich beim ersten Besuch 2017 versäumt).
In der Mitte der Brücke sind immer noch die Grenzlinie und "Sverige / Norge" aufgepinselt, so wie ich es erinnere. Toller Ausblick auf den schwindelerregend tiefen Svinesund.
Und an noch was erinnere ich mich: kurz hinter der Brücke gibt es ein Einkaufszentrum mit Süßwaren-, Tabak- und Getränkeläden. Solche Schnäppchenjägerparadiese gibt's in schwedischen Orten nahe Norwegen einige, das Preisgefälle ist halt drastisch. Aber die "Svinesunds handelsområde" macht schon einen besonders schrillen und schrägen Eindruck. Und ein paar km weiter sehen wir im Vorbeifahren das Nordby köpcenter, das weniger bunt, aber dafür nochmal erheblich größer ist. Wie erhofft lässt dahinter der Straßenverkehr nach. Und als wir von der Straße zur Dynekilen- Bucht abbiegen, wird's es sogar wieder fast einsam. Der schmale grasbewachsene Weg, der gerade zwischen Wasser und Felsenkante passt, soll laut Hinweisschild vor 100 Jahren die Reichsstraße gewesen sein. Und vor 200 Jahren hat in der Bucht mal eine Seeschlacht stattgefunden. Die Moderne ist aber gleich um die Ecke wieder da: von unten sehen wir die Autobahn- Hochbrücke mit der E6 (von der Neuen Svinesundbrücke kommend).
Die nächsten km sind ein sehr verschlungener Weg mit einer Trampelpfad- Einlage, aber bald deutet ein frisch asphaltierter Radweg die Nähe von Strömstad an. Gefühlt größer als seine 7000 Einwohner. Unten gibt's einen richtigen Hafen, wo gerade eine große Fähre der Color- Line nach Norwegen ablegt. Hinter dem Ortsausgang folgt an der Küste viel Besiedlung, wir haben Mühe, einen Zeltplatz zu finden und fahren 1,5 km eine Schotterpiste landeinwärts. Ich bin ziemlich platt und lasse den Tag mit dem für die restlichen norwegischen Kronen erstandenen Bier (norwegische Stärke, 4,7% - in schwedischen Supermärkten gibt's wieder nur noch 3,5%!) und Krabbensalat (diesmal richtigem ohne deutsche Rüben!) ausklingen. - Noch 210 km bis Göteborg.

Tag 20: Sonnige Westküste
Nochmal wolkenlos. Zurück an die Hauptstraße und nach Süden. Samnäs ist das erste von mehreren kleinen ehemaligen Fischerdörfern, die wir durchfahren. Postkartenidylle. Größer und schon touristischer: Grebbestad (1900 Einwohner). Einkauf. Die Sonne knallt. Schöner Bootshafen mit Promenade und auch hier hat man der schmalen Uferpromenadenstraßen einen Radweg spendiert. Nur 10 km Luftlinie weiter dann eines der touristischen Highlights der ganzen Westküste: Fjällbacka. Postkartenidylle mal zwei, und schöner als ich es von 2017 erinnere (damals mit Regen und trotzdem mehr Touristen). Natürlich auch diesmal mit einem Foto von Ingrid Bergman- Statue. Mittagspause auf dem Holzsteg am Hafen, besser geht's nicht. Obendrauf noch vom Café im "Varmbad" einen Kaffee holen, derselbe Laden wie 2017.
Für einen zweiten Besuch des ebenso sehenswerten Smögen reicht die Zeit leider nicht und unsere Route führt uns schon vorher landeinwärts. In der Nähe der E6 (die "verfolgt" uns seit Norwegen) durch Dingle nach Munkedal. Dort verfahren wir uns und fahren über die Ausfallstraße rüber, kommen aber nicht auf sie drauf. Eine Schwedin sieht von ihrem Haus, wie wir ratlos rumstehen und hilft uns... obwohl sie mein Schwedisch nicht versteht und es offensichtlich seltsam findet. Ich muss echt mal ernsthaft lernen... Der Ort ist bloß halb so groß wie Strömstad, aber wir kommen erst nach mehreren km aus der Nähe der Bahnlinie, der Ausfallstraße und der Autobahn in ein ruhigeres Gelände und müssen uns dann, ziemlich platt, nochmal eine giftige Steigung hochquälen hinter der eine Kahlschlagfläche mit angrenzendem Wald liegt. Nochmal die Räder durchs Gestrüpp hochschieben, dann endlich das Zelt aufbauen. Die Abendsonne scheint durch die Bäume ins Zelt. 89 km.

Tag 21: Orust - Stenungsund - Svartedalen
Über Nacht hat sich eine Wolkendecke über Südschweden gelegt, und so soll es auch bleiben. Abfahrt. Erst durch die Pampa (Windräder auf Hügeln im Wald), dann auf der Hauptstraße 160 nach Orust, Schwedens drittgrößte Insel. Dichter Verkehr. Brücke mit toller Aussicht über den Nötesund. Ein paar Schlenker, bis wir wirklich auf Orust sind (die direkte Durchfahrt ist eine reine Autostraße) und dort geht es dann auf sehr ruhigen Straßen im Zickzack über die Insel. Ein Café an der Straße hat nur sonntags geöffnet, aber die Chefin spendiert uns kuzerhand Kaffee von einer geschlossenen Veranstaltung, die dort gerade läuft. Wow.
In Svanesund sind wir am Südende Orusts. Einkauf im hemköp und Mittagspause am Fähranleger. Überfahrt über den Svanesund mit einer der typischen gelben schwedischen Fähren, und zwar der "Saturnus". Der Name kommt mir bekannt vor, und tatsächlich, es ist genau dieselbe Fähre, die uns 2017 über den Gullmarnfjord gebracht hat (sie hat kurz danach ihren Einsatzort hierher gewechselt). Über den Sund rüberfahren, war die Idee, um an der (von 2017 als eher hässlich in Erinnerung gebliebenen) Stadt Stenungsund östlich vorbeizukommen und gleich ins Waldgebiet Svartedalen reinzufahren, den letzten großen Naturbereich vor Göteborg. Nun ja, von der Stadt Stenungsund sehen wir tatsächlich nicht viel... sehen und riechen aber auf unser Umfahrung dafür das Industriegebiet Ost mit Raffinerie, Müllverbrennungsanlage, Gummiverarbeitung und Gewerbe.
Noch einmal unter der Autobahn E6 durch (schon wieder...), zwei km Hauptstraße (bei einer Bergabpasage fällt mir unangenehm auf, dass mein Vorderrad eine leichte Unwucht bekommen hat) und dann ab in die bewaldeten Hügelketten. Und schon wieder geht es zum Tagesende mit schweren Beinen bergauf! Zum letzten Mal (denke ich jedenfalls). Und noch einmal die Räder durchs Gestrüpp hochschieben - ebene Flächen sind hier rar. Letzte Zeltübernachtung der Tour! Abendsonne nur sparsam. Nur 68 km. Wir haben ja "Reserve" und müssen für morgen auch noch km übrigbehalten, sonst wird's langweilig...

Tag 22: nach Göteborg
Dichte Wolkendecke. Nachts kurzer Schauer.
Durchs Naturschutzgebiet Svartedalen. Das scheint Wohnmobile und Göteborger Ausflügler anzuziehen, für eine so schmale Schotterpiste kommt uns ziemlich viel Verkehr entgegen. Noch ein paar Kilometer Wald, dann geht es ins Tal des Götaälvs runter. Gegenüber vom Ort Nol erreichen wir das Westufer an einem Badeplatz. Natürlich viel zu grau und kalt für ein Bad!
Die Fahrradroute am Ufer südwärts, an Kungälv vorbei und nach Mysterna. Da gibt es doch noch ein paar giftige Steigungen... direkt am Flussufer wären die uns erspart geblieben, aber dafür hätten wir Ausblick auf die Autobahn statt Wald gehabt. In Kärra Wohnblöcke, aber der "turisttråket" führt am westlichen Rand an der Stadt vorbei und wieder ins Grüne. Nochmal Plattenbauten und ein Einkaufszentrum in Tuve. Dort letzter Einkauf in Schweden!
Dann noch ein wildes Hin und Her zwischen ländlichen Gebieten, Hochhäusern (Biskopsgården ist ein weiterer der schwedischen sozialen Brennpunkte) und Vorort- Einzelhaussiedlungen. Und noch ein paar Steigungen, die nun aber wirklich genug sind. Über die Stadtautobahn und dann der letzte, geplante und gewünschte Höhepunkt des Tages - und der Reise: die Älvsborgsbron. Die Brücke ist 900m lang, bietet selbst bei diesem grauen Himmel eine tolle Aussicht und ist ein prima Abschluss der Schwedenrunde. Denn nach nicht einmal zwei km stehen wir vor dem Check- In- Schalter der Fähre. 55 km. - Schnell wie selten geht's los, 15:45 sind wir problemlos an Bord und verstauen die Räder in dem schon bekannten Seitenraum des Autodecks (eigentlich eher ein Gerümpellager). Zwei Stunden vor Abfahrt und vor den Autofahrern! In der Kabine sehe ich mich zum ersten Mal seit fast drei Wochen wieder bei Licht in einem Badezimmerspiegel :-)
Bei der Abfahrt wieder jede Menge Fotos von der Älvsborgsbron (von unten). Hejdå Sverige!

Tag 23: nach Hamburg
Kaffee aus dem Bordbistro, Einfahrt in die Kieler Förde bei Sonne. Kein zweiter Kaffee unterwegs, weil der "Stammbäcker" seine Öffnungszeiten reduziert hat. Trotzdem glatte Durchfahrt nach Hamburg.
110 Tages- km, 1800 gesamt.

Geschrieben 21.04.2023, Geändert 22.04.2023, 161 x gelesen.

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